Katalogtext "Inside of you" von Corinna Mayer 2019 Trialog der Farben
 
Drei Hauptfarben bestimmen die Gemälde der 1969 im hessischen Langen geborenen Künstlerin Corinna Mayer: Neben den starken Rot- und Blautönen widmet sich ein eigenständiger Bereich den Darstellungen dunkelhäutiger Menschen, umgesetzt in einer bis zum Schwarz reichenden braunen Tonigkeit. Die farbigen Gruppen lösen einander nicht ab, sondern entstehen parallel. Zwischen ihnen gibt es Dialoge und Übergänge, so dass man statt von einem Dia- vom Trialog der Farben sprechen kann.
 
Drei Farben: Rot Auffallend ist die Verwendung der Farbe Rot. Über die Bedeutung von Farben im Zusammenhang mit der menschlichen Psyche wurde schon häufig gesprochen und geschrieben. Dabei hat jeder Mensch eigene Empfindungen, wenn er ein Rot oder Blau sieht. Es gibt allerdings Assoziationen, die allgemeine Gültigkeit besitzen, zum großen Teil bedingt durch eine jahrhundertelange Überlieferung in den jeweiligen Kulturkreisen. In seiner Farbenlehre stufte Goethe Rot als "höchste Steigerung der Farben" ein. Deshalb wird es häufig als Sinnbild von Leben und Liebe gesehen. Corinna Mayers Farbvarianten von einem markanten, warmen Rot wirken entgegenkommend. Die Künstlerin meint, dass der Einsatz von Farben immer auch mit ihrem eigenen emotionalen Zustand zusammenhängt. So steht das extrovertierte Rot für eine offene, auf die Leute zugehende Haltung. Ihre Einstellung zum Rot überträgt Corinna Mayer auf "Die Tänzerin" und "Die Nackte". In den Gruppenporträts wie "Cafehouse" wird die Farbkonzentration zwar durch braun und schwarz abgemildert, aber die rotgekleideten Frauen in verschiedenen Rollen ziehen alle Blicke auf sich. So viel eindringlicher als andere Farben wirkt das Rot. Die liegende Frau auf dem Sofa im Hintergrund lässt an die Pose der liegenden Venus denken, obwohl sie nicht nackt, sondern in ein dekolletiertes Kleid mit Seitenschlitz gehüllt ist. Auch bei der Frau im samtig-dunklen Rot vorne rechts fühlt man sich unweigerlich an kunsthistorische Vorbilder erinnert, bei ihr an Renaissance-Porträts. In vielen anderen Gemälden Corinna Mayers stellen sich solche Assoziationen ein, sei es in einer Pose oder durch die ganze Figur - man meint, den Figuren im Museum oder in Zeitschriften schon einmal begegnet zu sein. Die Inspirationen sind nicht auf eine Richtung festgelegt, es sind Zitate aus verschiedenen Stilrichtungen von der Renaissance bis heute. Hier wird deutlich, wie Mayer bei ihren Kompositionen vorgeht: Die kleinen "Dialoge" mit der Kunstgeschichte oder mit anderen Bildern aus dem kulturellen Gedächtnis sind beabsichtigt. Corinna Mayer arbeitet mit Vorlagen aus ihrem eigenen, gewachsenen Fundus, der aus einer Vielzahl von Fotos und Postkarten besteht. Neben Reproduktionen von Gemälden aus unterschiedlichen Epochen findet man dort Fotos von Filmstars der 50er und 60er Jahre, aus deren Filmen oder aus Magazinen, die aus ihrem Leben berichten, es gibt Presse- und Werbebilder aus unterschiedlichen Zeiten. Mayers Archiv umfasst keine persönlichen Fotos, sondern besteht aus öffentlich verfügbaren Bildern aus einer oft vergangenen Welt, die uns zwar noch vage in Erinnerung ist, die sich aber auch ganz fremd anfühlt. Die Künstlerin recyclet das Material aus unserem kulturellen Gedächtnis. Sie separiert einzelne Motive aus ihrem mitgelieferten Umfeld und ermöglicht es, so wie sie sie verarbeitet, diese ganz neu zu sehen. Der Arbeitsprozess der Künstlerin ist Aneignung, ohne die Vorlage 1 zu 1 zu übernehmen. Diese Kompositionsmethodik, die die Ästhetik der alltäglichen Lebenswelt mit der Kunst vergangener Zeiten zusammenführt, ist spätestens seit Andy Warhol bei zeitgenössischen Künstler etabliert. Besonders bei Ansammlungen von Personen wie bei "The Party goes on" fügt sie neben erfundenen Figurationen die gefundenen Vorlagen ein. Beim Personal mischen sich also eigene Ideen mit Vorgefertigtem. Solche Montagen schärfen den Blick für unsere heutige Realität. Indem sie das Verbindende zwischen Geschichte und Gegenwart ausloten, bringen sie etwas Neues, Zeitgenössisches hervor. Es entstehen irritierende Szenen, die anziehen, den Betrachter neugierig machen und auf Entschlüsselung harren. Denn wie gehören die Besucher im Hintergrund zu den drei Hauptpersonen vorne? Sie können für deren Erinnerungen stehen, beispielsweise die strengen Kinder in Schwarz, die womöglich auf eine schwierige Kindheit verweisen. Wie eine Familienaufstellung wirkt die ganze Szenerie mit der Versammlung unterschiedlich großer Figuren. Alle blicken in verschiedene Richtungen oder sind ganz in sich versunken, nur der Mann vorne rechts schaut aus dem Bild und bietet sich als Identifikationsfigur in dem Gefüge an. Beim Figurativen bleibt Corinna Mayer nicht stehen. Zu gut weiß sie um die Entwicklungen in der Malerei, in der es immer wieder auch abstrahierende oder abstrakte Positionen gab. Die zunächst in der Kleidung der Frau in "Flowers inside" oder als Blasen in den Partybildern auftauchenden Kreise verselbständigen sich zu eigenständigen Motiven. Ohne figurative Einbindung überziehen sie in "Flowers allover" die gesamte Bild. Es gibt hier kein eigentliches Zentrum oder Hauptmotiv, die kreisförmigen Formen aus der Farbfamilie Rot rhythmisieren spielerisch die ganze Oberfläche, nur an wenigen Stellen durch Tupfer anderer Farben unterbrochen.
 
Drei Farben: Blau Auch wenn Corinna Mayer bei ihren blauen kompositorisch ähnlich wie bei den roten Bildern vorgeht, erzeugt sie durch den Einsatz dieser Farbe eine gänzlich andere Ausstrahlung. Während das vitale Rot einen quasi "anspringt", zieht der blaue Farbeindruck eher in das Bild hinein. Er verbreitet eine kühle Wirkung - was schon Goethe zum Ausdruck brachte. Wenn man in die Natur schaut, ist die Blauheit des Himmels genauer betrachtet nur ein Ausdruck für das dahinter liegende unendliche Weltall. Damit kann auch das Blau an sich als ein Ausdruck von Grenzenlosigkeit verstanden werden. Die gegenpolige Farbe zum Rot erzeugt in Corinna Mayers Gemälden eine irreale Stimmung. Das indirekte, vom Computer ausgehende Licht leuchtet die Szene bei "Mit dem Computer sprechen" unwirklich aus. Und "Astronaut im Orbit", ein Gruppenbild in Blau, wirkt surreal: Ist es ein Traum oder Wirklichkeit, in die man hineinschaut? Das Bild wirft auch die Frage auf, ob verschiedene Gestalten gemeint sind oder eher eine Innenschau mit verschiedenen Gesichter einer einzigen Person. Die verfremdende Farbigkeit scheint es eher möglich zu machen, Dinge, die weiter weg von einer sichtbaren Welt sind, zu thematisieren.
 
Drei Farben: Braun In einer ausgedehnten Serie setzt sich Corinna Mayer mit dunkelhäutigen Körpern auseinander. Sie ordnet ihnen ebenso dunkle Hintergründe zu, so dass ein harmonischer weicher Gesamtklang entsteht. Meist sieht man nackte oder nur wenig bekleidete junge Frauen. Die differenzierte Farbigkeit unterstützt ihre erotische Ausstrahlung. So denkt man sofort an die amerikanische Black-Power-Bewegung, die Mitte der 1960er Jahre den Slogan ausgab: Black is beautiful. Doch darum geht es der Künstlerin nur am Rande. Sie möchte auf den tiefen Zwiespalt verweisen, der bis heute zwischen der Sehnsucht nach dem Anderen, Wilden und Fremden und der rassistischen Betrachtung von Schwarzen besteht. Spätestens seit der Kolonialgeschichte wurden Menschen in höhere und niedere Arten eingestuft. Dunkelhäutige zählten zu letzterer Kategorie. In erotischen Männerfantasien spielt die "exotische Wilde" zugleich eine eigenständige, starke Rolle. Das Fremde ist gerade dort das Objekt der Begierde. Mayers Bilder widmen sich gezielt dieser Bandbreite von solchen geheimen oder auch tabuisierten Zuordnungen bis hin zur Furcht vorm "schwarzen Mann", gerade unter den Flüchtlingen, der als wild, triebhaft und brutal gilt. In "Mit rotem Tuch" fügt die Künstlerin ihr typisches Rot als hervorstechende Farbe hinzu. Es kommt zum intensiven Leuchten im Verbund mit dem dunklen Körper und dem nahezu schwarzen Fond. Die zusätzliche Farbe erweckt weit auseinanderliegende Überlegungen: Man kann an einen Heiligenschein, der sich um den Kopf der schönen Frau schmiegt, denken oder an herunterrinnendes Blut mit allen Assoziationen wie Leben, aber auch Verletzung oder Gewalt. Vielleicht finden wir hier einen Hinweis auf die Vergangenheit der Künstlerin, die Meisterschülerin bei dem österreichischen Happening Künstler Hermann Nitsch war. An dessen "Orgien und Mysterien Theater" nimmt sie seit Jahren teil, auch wenn die eigene künstlerische Entwicklung ganz andere Wege einschlug.
 
Schluss In seinem berühmten Filmepos "Drei Farben: Blau, Weiß und Rot" ordnete der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski den Farben symbolische Bedeutungen zu. Die Farben der Tricolore stehen für die Schlagworte der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Corinna Mayer geht es nicht um eine derartige sinnbildliche Aufladung. Zwar lassen sich verschiedene Aufgaben der einzelnen Farben entdecken, wie das Offene des Rot, das Distanzierend-Verfremdende des Blau oder die spezifische Thematik der dunklen Braunnuancen, doch übergreifend gibt es Werke, in denen mit diesen verschiedenen Wirkungen gespielt wird. Damit betont die Künstlerin die Gemeinsamkeiten für ihre bildnerischen Anliegen. In einem der Hauptwerke, dem Partybild "Dance into the sky", treffen sich alle Farben unter der Führung des Rot. Als Symbiose vereint das Bild die künstlerischen Erkenntnisse der letzten Jahre: die Kombination von Altem und Neuem, Gefundenem und Erdachtem, von eher realistischen und eher abstrakten Elementen. In einen solchen Gemälde ist man in einer Fülle möglicher Geschichten konfrontiert, über deren Verläufe man spekulieren kann, ohne einer Eindeutigkeit näher zu kommen. Corinna Mayer, die Meisterin der Andeutung und Verfremdung, erinnert uns in ihren oft rätselhaft erscheinenden Bildern an die Vielschichtigkeit und Komplexität menschlicher Beziehungen, die aber nie nur äußerlich zu verstehen sind. Sie sind immer auch eine Reflektion der inneren Prozesse des Menschen, sowohl des Betrachters, wie der Ausstellungstitel "Inside of you" meint, als auch der Schöpferin der Werke. Das zeigen vor allem die ausdrucksstarken Gesichter. Die Augen mit dem intensiven auf den Außenstehenden gerichteten Blick wirken, als würden die Personen über die Augen direkt Kontakt aufnehmen und einen Einblick in ihre Gefühlswelt oder gar in ihre Seele gewähren. Wir ahnen: Die Figuren sind eng mit der Künstlerin verbunden, ohne dass sie sie als "Doppelgänger" akzeptiert. Indem Corinna Mayer verschiedene Emotionsdispositionen über ihre Protagonisten ausdrÜckt, kommen Fragen nach der eigenen Identität in dieser Welt zur Sprache.

Ulrike Kuschel 2019